April 2024

240407

ENERGIE-CHRONIK


Union beantragt Rückbau-Stopp für stillgelegte Kernkraftwerke

Die Union versucht weiterhin, die Abschaltung der drei letzten deutschen Kernkraftwerke (230404) als Fehler darzustellen, der die Sicherheit der Stromversorgung gefährde. Zu diesem propagandistischen Zweck stellte sie am 10. April im Bundestag den Antrag, das Parlament möge die Bundesregierung auffordern, "die drei zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke mit einem Rückbau-Moratorium zu belegen, bis eine neu gewählte Bundesregierung die Chance hat, im Lichte der dann gegebenen Lage über eine Wiederinbetriebnahme abschließend zu entscheiden". Erwartungsgemäß wurde der Antrag abgelehnt. Außer der CDU/CSU stimmte nur die AfD dafür.

Für den Geschmack der Rechtextremisten war der Antrag allerdings zu "zaghaft" formuliert. Der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft äußerte den Verdacht, dass dies mit Rücksicht auf die Grünen als eventuell benötigter Koalitionspartner geschehen sei. Dabei sei doch völlig klar, dass die Union erst mal die "Brandmauer" zur AfD beseitigen müsse, falls sie es mit der Rückkehr zur Kernenergie tatsächlich ernst meinen sollte.

"Die Union will wieder das Märchen von der billigen, klimafreundlichen Atomenergie erzählen"

Als Sprecher der Union behauptete der CDU-Abgeordnete Steffen Bilger, die Abschaltung der drei Kernkraftwerke habe dazu geführt, "dass die Strompreise in Deutschland so hoch bleiben" und "wir abhängig vom Ausland wurden". Die Bundesregierung verschärfe so "die Probleme bei unserer Energieversorgung, die infolge des russischen Angriffs gegen die Ukraine entstanden sind, ohne Not".

Die Union wolle "wieder das Märchen von der billigen, klimafreundlichen Atomenergie erzählen", stellte demgegenüber der SPD-Abgeordnete Carsten Träger fest. Atomstrom sei keineswegs günstig, sondern überaus teurer: Während die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien zwischen 2 und 8 Cent pro Kilowattstunde koste, seien es bei Atomstrom zwischen 14 und 19 Cent. Bei Berücksichtigung der mit der Nukleartechnik verbundenen Folgekosten erhöhe sich dieser Betrag sogar auf mehr als 80 Cent.

Forderung nach Laufzeiten-Verlängerung war Bestandteil einer größer angelegten Kampagne zur Neubelebung der Kernenergie

Generell stricken die Unionsparteien – und die rechtradikale AfD sowieso – an der Legende weiter, dass die vor 13 Jahren von der damaligen Regierungsmehrheit aus Union und FDP im Atomgesetz verankerte Abschaltung der drei letzten Kernkraftwerke zum Jahresende 2023 (110501) unbedingt hätte verhindert werden müssen, weil sonst als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine angeblich eine "Riesen-Stromlücke" mit katastrophalen Folgen entstanden wäre. Der Grund dafür ist klar: In Wirklichkeit zielte diese Kampagne, die bereits 2021 begonnen hatte (211006), auf eine Neubelebung der Kernenergie in Deutschland, zu der eine möglichst unbefristete Laufzeiten-Verlängerung der drei letzten Reaktoren nur den Auftakt bilden sollte. Der russische Überfall auf die Ukraine diente dann zusätzlich als willkommener Anlass für ein sachlich unbegründetes Schreckensgemälde, falls die Abschaltung tatsächlich planmäßig stattfinden sollte.

Das Magazin "Cicero" fabuliert von Geheimakten, die Habeck vorenthalten worden seien

Da es mehr als genug Kraftwerkskapazitäten gab, war ein Weiterbetrieb der drei Reaktoren so wenig erforderlich wie zuvor. Die drei letzten KKW-Betreiber waren auch keineswegs erfreut von der Aussicht, die langfristig vorbereiteten Abschaltungen nochmals revidieren zu müssen. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte gelangten deshalb die beiden Bundesministerien für Wirtschaft und Klima (BMWK) und für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) am 8. März 2022 in einem gemeinsamen Prüfvermerk zu dem Schluss, dass der Weiterbetrieb keinen relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten würde (220312). Da aber auch die mitregierende FDP die von Union und AfD betriebene Kampagne unterstützte, setzte der Bundeskanzler Scholz zur Erhaltung des Koalitionsfriedens die Entscheidung der beiden grünen Minister Robert Habeck und Steffi Lemke außer Kraft und verfügte eine Verlängerung des Abschalttermins um 15 Wochen (221002).

Das neokonservative Magazin "Cicero" (090308, 211006) nahm diesen Prüfvermerk Ende April zum Anlass, um ihn unter der Überschrift "Habecks Geheimakten – Wie die Grünen beim Atomausstieg getäuscht haben" verschwörungstheoretisch umzudeuten. Es hatte nämlich Akten zu diesem Vorgang angefordert und auch erhalten. Bei Sichtung dieser Unterlagen fanden sich erwartungsgemäß Feststellungen wie die, dass ein Weiterbetrieb über drei Monate grundsätzlich möglich sei, ohne die "nukleare Sicherheit" zu gefährden. Diese und ähnliche Überlegungen – so lautete der von "Cicero" konstruierte Vorwurf – soll der damals zuständige Staatssekretär Patrick Graichen unterschlagen und ins Gegenteil verkehrt haben, als er Habeck empfahl, einer Verlängerung nicht zuzustimmen.

Auf Antrag der Union kam es deshalb am 26. April sogar zu einer kurzfristig angesetzten öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie im Bundestag. "Es ist unwahr, dass Vermerke ins Gegenteil verkehrt wurden", erklärte Habeck zu dieser fadenscheinigen Darstellung, die auch von der "Bild-Zeitung" kolportiert worden war. "Es war ausdrücklich mein Wunsch, alle Varianten zu prüfen." Das sei auch geschehen, es habe in seinem Haus kein Diskussionsverbot gegeben. "Die Akten erzählen, wenn man sie genau und unparteiisch prüft, dass ergebnisoffen diskutiert wurde."

Es war demnach letztlich der Minister, der entschied. Unter normalen Umständen hätte Habeck vermutlich selber keine allzu großen Bedenken gegen eine kurzzeitige Verschiebung des Abschalttermins gehabt, zumal diese Schlusstermine nach der Katastrophe von Fukushima ziemlich willkürlich von der schwarz-gelben Koalition dem Atomgesetz eingefügt worden sind und sich sogar verlängernd statt verkürzend auf den ab dem Jahr 2000 laufenden Countdown der Restlaufzeiten auswirkten (siehe Hintergrund, März 2021). Da es aber für eine Verlängerung keinerlei zwingende Gründe gab und die angebliche Dringlichkeit dieser Forderung nur ein propagandistisch aufgeblasener Popanz innerhalb einer größer angelegten Kampagne zur Neubelebung der Kernenergie war, musste er sie selbstverständlich ablehnen. Sonst hätte er gleich von den Grünen zur CDU wechseln können.

 

Links (intern)