April 2024

240401

ENERGIE-CHRONIK


 


Das Klimaschutzgesetz schreibt für insgesamt sechs Bereiche eine Senkung der Emissionen auf 438 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent bis 2030 vor. Im vergangenen Jahr entstanden rund 99 Prozent der Treibhausgase in den Sektoren Energiewirtschaft (30,4 %), Industrie (23,0 %), Verkehr (21,7 %), Gebäude (15,1 %) und Landwirtschaft (8,9 %). Die restlichen 0,9 Prozent entfielen auf den Bereich "Abfall/Sonstiges", der in diesem Säulendiagramm nur mit der Lupe feststellbar wäre und deshalb nicht gesondert ausgewiesen wird.

Koalition ändert Klimaschutzgesetz: Maßgeblich ist nur noch die gesamte Treibhausgas-Minderung

Mit den Stimmen der Regierungskoalition billigte der Bundestag am 26. April eine Änderung des Klimaschutzgesetzes, das in seiner bisherigen Fassung verbindliche Treibhausgas-Minderungsziele für sechs einzelne Sektoren vorsah. Diese isolierte Verbindlichkeit der sektoralen Minderungsziele wird künftig durch eine Gesamtbetrachtung ersetzt, bei der es nur noch auf die Summe aller Treibhausgas-Emissionen ankommt. Die Ergebnisse der einzelnen Sektoren zum CO2-Ausstoß können also miteinander verrechnet werden, ohne dass sich an den zulässigen "Jahresemissionsgesamtmengen" etwas ändert, wie sie für die Jahre 2020 bis 2030 in § 4 und in Anlage 2a des Gesetzes festgelegt sind (siehe Text der Neufassung). Mit Blick auf die Treibhausgas-Emissionen des vergangenen Jahres bedeutet dies, dass Deutschland den Gesamtausstoß um 76 Millionen Tonnen verringern konnte, was die 13 Millionen Tonnen mehr als kompensiert, um die der Sektor Verkehr hinter den gesteckten ZIelen zurückblieb.

Zunächst waren sich die drei Ampel-Parteien über die Notwendigkeit dieser Änderung einig gewesen und hatten sie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Kurz nach Vorlage der entsprechenden Novelle im Sommer 2023 war aber das Klima innerhalb der Koalition – vor allem aufgrund des Verhaltens der FDP – derart unter den Nullpunkt gesunken, dass es zu einer wechselseitigen Blockade kam: Die Grünen hielten nun die Abschaffung der absoluten Verbindlichkeit der sektoralen Einzelziele plötzlich doch für bedenklich, während die FDP dem vom Kabinett beschlossenen "Solarpaket" (230802) ihre weitere Unterstützung verweigerte.

Bundesverfassungsgericht lehnte Eilantrag gegen die Beschlussfassung ab

Die Union nutzte den Zwist, um die Ampel als Klimaschutz-Bremser darzustellen. Als es Mitte April doch noch zur Einigung über die Novellierung und zur Aufhebung der wechselseitigen Blockaden kam, stellte der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann beim Bundesverfassungsgericht den Eilantrag, dem Bundestag die vorgesehene Beratung des Gesetzes in zweiter und dritter Lesung zu untersagen. Er begründete dies mit nachträglich vorgesehenen Änderungen am Gesetzentwurf, die erst ausführlich beraten werden müssten. Der Antrag der Union auf Ansetzung einer neuen Anhörung sei jedoch unzulässigerweise abgelehnt worden. Offenbar wollte Heilmann den Überraschungserfolg wiederholen, den er im Juli vorigen Jahres erzielte, als er mit einer ähnlichen Begründung die Vertagung der Beschlussfassung über das Heizungsgesetz bis nach der Sommerpause erreichte (230702, 230906). Das gelang ihm jedoch nicht. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte Heilmanns Ansinnen am 25. April ab, "weil der Antrag in der Hauptsache derzeit von vornherein unzulässig ist".

Eine problematische Hinterlassenschaft der Großen Koalition

Die strikt einzuhaltenden sektoralen Minderungsziele wurden von der schwarz-roten Vorgängerregierung bereits der ersten Fassung des Klimaschutzgesetzes eingefügt, die der Bundestag am 19. November 2019 beschloss. Dieses Gesetz war zunächst nichts anderes als eine Neueinkleidung der alten und unzureichenden Ziele des "Klimaschutzplans 2050" aus dem Jahre 2016. Es wurden lediglich die dort noch vorgesehenen Bandbreiten nach oben gestrichen (191102). Zusätzlich wurde nun aber das jeweils zuständige Bundesministerium in § 8 verpflichtet, bei Nichterreichen der für möglich gehaltenen sektoralen Emissionsminderungen innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorzulegen, um für die folgenden Jahre die Einhaltung der vorgesehenen Emissionsbegrenzungen sicherzustellen. Diese sektoralen Einzelziele waren indessen nur insoweit sinnvoll, als es tatsächlich wichtig war und blieb, die jeweils erreichten CO2-Einsparungen in den sechs Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall/Sonstiges laufend im Auge zu behalten. Im übrigen hatte man sie jedoch "Pi mal Daumen" kalkuliert und vor allem im Verkehrsbereich niedriger angesetzt als realistisch war.

Auch die Nachbesserung änderte an der Verbindlichkeit nichts

Bei diesem eher voluntaristischen als realistischen Ansatz blieb es auch, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2021 die mangelnde Konkretisierung der Klimaschutzziele kritisierte (210401). Die Richter beanstandeten die Lücke zwischen dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und den bis 2030 vorgesehenen Treibhausgasminderungen. Diese Kritik war berechtigt, da die Merkel-Regierung eben nur ihre alten und unzureichenden Minderungsziele für CO2-Emissionen als "Klimaschutzgesetz" neu verpackt hatte (191102). Aufgrund der Rüge aus Karlsruhe senkte die schwarz-rote Koalition dann die zulässigen Jahresemissionsmengen der fünf Nicht-ETS-Sektoren für die Jahre 2020 bis 2030, beließ es aber bei der Verbindlichkeit der sektoralen Einzelziele, was den bereits bestehenden Konflikt zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch verschärfte (210503). Um die Lösung dieses Konflikts brauchte sich die damalige Regierung nicht mehr zu kümmern, da im September die Bundestagswahlen anstanden. Die Novellierung des Klimaschutzgesetzes durch den Bundestag erfolgte am 24. Juni 2021, als das Parlament zu seiner letzten Sitzung in der damaligen Legislaturperiode zusammentrat (210602).

Bereits im Koalitionsvertrag kündigte die Ampel eine "sektorübergreifende Gesamtrechnung" an

Noch vor ihrem Regierungsantritt erkannten SPD, Grüne und FDP das Problem, das ihnen die Vorgänger mit der Verbindlichkeit der sektoralen Minderungsziele im Klimaschutzgesetz hinterlassen hatten. Vor allem im Verkehrsbereich, für den die FDP zuständig werden sollte, war die Große Koalition von unrealistischen Annahmen über die Minderung der Treibhausgase durch eine wachsende Zahl von Elektroantrieben ausgegangen. Bereits in ihrer Vereinbarung vom November 2021 kündigten die Koalitionäre deshalb die Umstellung auf eine "sektorübergreifende Gesamtrechnung" an:

"Alle Sektoren werden einen Beitrag leisten müssen: Verkehr, Bauen und Wohnen, Stromerzeugung, Industrie und Landwirtschaft. Die Einhaltung der Klimaziele werden wir anhand einer sektorübergreifenden und analog zum Pariser Klimaabkommen mehrjährigen Gesamtrechnung überprüfen. Basis dafür ist das jährliche Monitoring."

Gesetzentwurf zur Novellierung gedieh nicht über die erste Lesung hinaus

Durch den russischen Überfall auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise traten die geplante Novellierung des Klimaschutzgesetzes und andere Reformvorhaben zunächst in den Hintergrund. Erst am 21. Juni 2023 beschloss das Ampel-Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf, den Robert Habeck (Grüne) als zuständiger Minister für Wirtschaft und Klima der Öffentlichkeit präsentierte. Am 22. September 2023 wurde dieser "Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes" dann vom Bundestag in erster Lesung behandelt.

Ab diesem Zeitpunkt kam das parlamentarische Verfahren aber nicht weiter voran. Der Grund dafür war die rapide Verschlechterung des Klimas innerhalb der Koalition, wobei die Hauptschuld an dieser Zerrüttung zweifellos die FDP trägt: Fast von Anfang befand sie sich auf einem profilneurotischen Ego-Trip und war nur darauf bedacht, sich auf Kosten der beiden größeren Koalitionspartner in Szene zu setzen. Besonders sichtbar wurde dies, als sie beharrlich die Kampagne der Oppositionsparteien CDU/CSU und AfD für eine Neubelebung der Kernenergie unterstützte und damit klar gegen den Koalitionsvertrag verstieß (230912). Man konnte geradezu den Eindruck gewinnen, als ob sie mit Blick auf eine künftige schwarz-gelbe Regierung die Ampelkoalition scheitern lassen wollte. Wenn es um Klima- und Umweltschutz ging, konnte man sich ebenfalls darauf verlassen, dass die FDP regelmäßig die "Technologieoffenheit" gefährdet sah, obwohl gerade bei ihr wenig technologischer Sachverstand zu erkennen war. Unter Beschwörung dieses neoliberalen Mantras nötigte beispielsweise der Verkehrsminister Volker Wissing die Bundesregierung, bei der EU-Kommission auf eine Sonderregelung für Verbrennungsmotoren mit sogenannten E-Fuels zu dringen (230910). Dabei taugen E-Fuels allenfalls für spezielle Anwendungen, weil sie zu teuer und zu ineffizient sind, um eine sinnvolle Alternative zu Benzin zu bieten (230307). Dagegen lehnte Wissing beharrlich ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen ab, was nicht nur unter dem Aspekt der CO2-Emissionen eine sinnvolle und mit wenig Aufwand zu verwirklichende Maßnahme wäre.

Während die FDP das Solarpaket blockierte, behinderten Grüne und SPD die KSG-Novellierung

Die ständigen Zumutungen, mit denen die FDP ihre Koalitionspartner strapazierte, dürften so schließlich dazu geführt haben, dass Sachfragen nicht mehr sachlich, sondern unter rein taktischen Erwägungen behandelt wurden. Konkret bedeutete dies: Während die FDP die weitere Umsetzung des im August vom Kabinett beschlossenen Solarpakets blockierte, waren Grüne und SPD nicht länger bereit, ihr durch eine schnelle Reform des Klimaschutzgesetzes die Peinlichkeit zu ersparen, im Verkehrsbereich als Klimaschutz-Versager dazustehen. Denn es war vorhersehbar, dass Wissing eine schlechte Figur machen würde, sobald die neuesten Daten zu den Treibhausgas-Emissionen des Jahres 2023 vorliegen. Schon 2022 waren in seinem Zuständigkeitsbereich fast neun Millionen Tonnen Treibhausgase mehr angefallen, als zulässig gewesen wäre. Er überzog damit sein sektorales Kontingent um 6,4 Prozent und hatte mit Abstand das schlechteste Ergebnis, während sonst nur der Gebäudebereich mit 3,5 Prozent über dem erlaubten Limit lag und alle anderen Sektoren die Vorgaben erfüllten (230308). Es war zu erwarten, dass dieses Ergebnis für 2023 noch schlechter ausfallen würde. Denn im Vertrauen auf die vereinbarte Gesetzesänderung hatte Wissing weiterhin keinerlei Anstrengungen unternommen, um die verkehrsbedingten Emissionen zu mindern. Insbesondere hatte er wiederholt die Einführung eines Tempolimits abgelehnt, wie es in anderen Ländern auf Autobahnen längst üblich ist. Vor allem die Grünen hätten ihm deshalb den Negativpreis als Klimaschutz-Versager des Jahres von Herzen gegönnt.

Noch vor der offiziellen Bekanntgabe der Treibhausgas-Zahlen startete Wissing einen propagandistischen Gegenschlag mit angeblich drohenden Fahrverboten

Mitte April war es soweit: Der gemäß § 11 des Klimaschutzgesetzes eingesetzte Expertenrat bestätigte die Berechnungen des Umweltbundesamts. Demnach waren die deutschen Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr mit rund 674 Millionen Tonnen um 76 Millionen Tonnen oder 10,1 Prozent geringer als 2022. Nur in Wissings Zuständigkeitsbereich wurde die maximal zulässige Emissionsmenge um 13 Millionen Tonnen überschritten. Eine Überschreitung des zulässigen Grenzwerts war außerdem erneut im Gebäudebereich festzustellen, für den die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) verantwortlich ist. Mit 1,2 Millionen Tonnen war diese aber deutlich geringer als im Vorjahr und lag bereits im Unschärfebereich solcher Berechnungen.

Wissing wartete die offizielle Veröffentlichung der Zahlen am 15. April erst gar nicht ab. Schon Tage vorher verschickte er einen Brandbrief an die Vorsitzenden der drei Ampelfraktionen, den er zugleich anderen Empfängern zur medialen Verbreitung zukommen ließ. Darin drohte er mit schlimmen Folgen, falls das Klimaschutzgesetz nicht unverzüglich in der vorgesehenen Weise novelliert würde. Aufgrund des weiterhin geltenden § 8 werde er dann nämlich gezwungen sein, binnen drei Monaten das "Sofortprogramm" zur Anpassung der Emissionswerte an die gesetzlichen Vorgaben vorzulegen. Eine solche Anpassung sei aber nur mit "restriktiven und der Bevölkerung kaum vermittelbaren Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich".

In einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" malte Wissing am 12. April dieses Schreckensszenario noch weiter aus und verteidigte es folgendermaßen:

"Ich habe den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit gesagt, denn diese Sektorbetrachtung führt dazu, dass wir 22 Millionen CO2-Äquivalente sofort einsparen müssen, und wir sind in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind von Autoverkehr, von Lieferverkehren, im Grunde genommen jede und jeder von uns, und diese 22 Millionen Tonnen Einsparung, die erreicht man nicht mit einem Tempolimit oder mit sonstigen Maßnahmen, sondern so große Mengen kann man ad hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den LKW einsparen. Und selbst ein Tag Fahrverbot am Wochenende würde nur etwa die Hälfte der Einsparverpflichtungen bringen, so dass wir zwei Tage pro Woche dauerhaft und unbefristet verzichten müssten, und das darf man sich nicht länger schönreden, denn es gibt erste Urteile, die dazu verpflichten, und man kann nicht einfach Recht in die Welt setzen und es dann ignorieren und sich weigern, das Recht zu ändern, wenn so etwas droht, was ich jetzt sehr sachlich dargestellt habe."

Natürlich war es ziemlicher Blödsinn, was Wissing hier den gegenderten "Bürgerinnen und Bürgern" erzählte. Das von ihm entworfene Szenario war absolut irreal, und zwar auch gerade dort, wo er es aus der konsequenten Vollstreckung geltenden Rechts abzuleiten versuchte. In jedem Fall hätte er erst einmal eine parlamentarische Mehrheit finden müssen, um eine Schnapsidee wie die Fahrverbote beschließen zu lassen, denn aus eigener Machtvollkommenheit könnte er nicht einmal das Tempolimit auf den Autobahnen anordnen, das er als angeblich untaugliche Maßnahme ablehnt.

Indessen schloss dieser Blödsinn nicht aus, sondern implizierte, dass es sich um einen geschickt platzierten medialen Knallfrosch handelte. SPD und Grüne zeigten sich nun nämlich trotz aller Kritik an der "Panikmache" des Ministers bereit, die in der ersten Lesung steckengebliebene Zweite Novelle des Klimaschutzgesetzes wieder flottzumachen. Schon am 15. April bestätigten die Fraktionsvorsitzenden aller drei Ampel-Parteien, dass sie sich darauf geeinigt hätten, den Gesetzentwurf so schnell wie möglich in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags zu verabschieden. Im Gegenzug ließ die FDP nun das bisher von ihr blockierte "Solarpaket" passieren (240402).

 

Links (intern)

zum Klimaschutzgesetz (KSG)

zu sektoralen Minderungszielen:

zu Gesamt-Minderungszielen

zum Europäischen Klimaschutzgesetz